Daniel Dorsch

Villa Pii Volume 2

Bucht von Katsuura
Bucht von Katsuura

Kaffehaus

Wenn ich der einsamen Klippe mal entkommen möchte und soziales Leben brauche, dann fahre ich mit dem Fahrrad in die Kreisstadt Katsuura. Dort gibt es das Familienkaffee. Hier bekommt man ein Frühstück für 500 Yen (3,60€) plus soviel Kaffee und Kaltgetränke wie man möchte. Der Kaffee ist OK und der Eistee schmeckt nach Eistee.

Cafe in Katsuura
Cafe in Katsuura

Hier sitzen Sportler, Omas, Bauarbeiter, es gibt eine Zeitung (auch in englisch) und das Menü wird jedem ausführlich erklärt. Auch mir, der ich nichts verstehe. So lausche ich lächelnd und nickend dem Klang der Worte, um dann auf ein Bild mit Rührei und Schinken auf der Speisekarte zu tippen. Kurze Zeit später kommt das Rührei mit Schinken. Es sieht exakt genauso aus wie auf dem Bild. Ich esse nun das Rührei mit Schinken mit den dafür vorgesehen Stäbchen. Kein Problem für mich. Ich habe letztens einen Hamburger mit Stäbchen gegessen.

Pausiere ich beim Essen, lege ich die Stäbchen wie eine Tangente an den Tellerrand. Die Spitzen der Stäbchen sollen auf keinen Fall in der Mitte des Tellers oder der Schüssel liegen. Warum? Weil es sonst an ein Ritual erinnert. Nach dem verbrennen eines Toten wird in der frischen Asche nach Knochenresten gestochert, erzählte mir Peter.

Was frühstücken meine Nachbarn? Bei den beiden Müttern neben mir gibt es Kaffee und Pommes. Die beiden jungen Männer schräg gegenüber essen Suppe und haben jeweils drei Gläser mit grünen, orangenen und braunen Flüssigkeiten vor sich. Die älteren Herrschaften essen traditionell, Reis, verschiedene eingelegte Gemüse, Fisch aus kleinen Schalen und zu allem werden ca. 7 cm Dicke Toastbrote gereicht.

auf dem Weg nach Katsura
auf dem Weg nach Katsura
Pazifik
Pazifik

Die erste Woche ist vorbei

Ich wohne seid einer Woche auf dem Felsen und schaue auf den Stillen Ozean, der so still meist nicht ist. Trotzdem verschwindet die stetige Brandung schnell aus der Wahrnehmung. Wie das Rauschen vom Verkehr in der Grossstadt. So schnell geht das. Gigantischer Blick auf Klippen und Meer und schon Routine. Das Thermometer ist auf 24 grad gefallen.

baden im Herbst (© Photo by Yanagihara)
baden im Herbst (© Photo by Yanagihara)

Aus dem Tal hör ich die täglichen Durchsagen, aus den, an der ganzen Küste aufgestellten Lautsprechern. Gab es heute etwas wichtiges? Vielleicht eine Tsunami Warnung? Ich verstehe nichts. Ich gehe schwimmen, was Solls. In der Regel wird eh nur durchgesagt, in welcher Hotellobby der Umgebung man heute Blut spenden kann, oder das die alten Leute nicht jedem, der sich am Telefon als ihr Enkel ausgibt, Geld überweisen sollen… sagt Peter.

überall gibt es Fluchtwegweiser
überall gibt es Fluchtwegweiser

zum Japanischen Meer

Es regnet und es ist kalt. Schon auf dem Weg zum Tokyo Bahnhof werden meine Füsse nass. Ein guter Tag um mit dem Zug zu reisen. Ich möchte das japanische Meer sehen. und auf die andere Seite der japanischen Insel fahren, nach Niigata. Vielleicht regnet es dort nicht. Der Joetsu Shinkansen ist einer von den Langsamen. Er hält in jeder grösseren Stadt, braucht aber für die 33o km auch nur knappe zwei Stunden. Niigata ist grau, kalt und es regnet.

Einkaufsstrasse inNiigita
Einkaufsstrasse inNiigita

Je weiter man sich von Tokyo entfernt, desto weniger lateinische Schriftzeichen gibt es auf Anzeigetafeln. Ich bin zu faul den richtigen Bus zu finden. Eine Karte am Bahnhof zeigt das Meer in ca. 3 km Entfernung. Ich beschliesse zu Fuss zum japanische Meer zu gehen. An Einrichtungshäusern, Banken und Hotels vorbei komme ich an einen Fluss, der mindestens so breit ist wie der Rhein. Obwohl ich nicht immer Vergleichen möchte, fühl ich mich an Rotterdam erinnert. Es sind die Hochhäuser am Ufer und die riesigen Seezeichen. Man spürt schon das Meer , denke ich und gelange nach dem Fluss in eine lange Einkaufstrasse.

Niigita
Niigita

Nach ca. einem Kilometer Fussweg werden die Häuser kleiner. Ich überquere einen Deich, gehe durch einen schmalen Küstenwald, eine Landstrasse und dann stehe ich am Betonbefestigten Ufer des Japanischen Meeres.

Waldstreifen vor dem Japanischen Meer
Waldstreifen vor dem Japanischen Meer
Japanisches Meer
Japanisches Meer

Zurück am Bahnhof bekomme ich Hunger. Ich möchte mir was zu essen besorgen und weiter an der Küste Richtung Norden fahren. Ich frage nach der richtigen Bahn. Die fährt in einer Minute. Ich renne. Beim reinspringen in den Zug wird mir klar: ich bin im Berufsverkehr in letzter Minute in einen Lokalzug gesprungen. Von Station zu Station wird der Zug leerer und bald habe ich auch einen Sitzplatz. Ich fahre von Dorf zu Dorf und mein Hunger wird grösser und grösser. Ich frage mich, ob ich weiss wo ich hinwill und bekomme sorgenvolle Gedanken. Draussen wird es dunkel.

abends in der Bahn
abends in der Bahn

In der Ferne sehe ich einen schönen roter Sonnenuntergang hinter imposanten Chemieanlagen. Es ist schon lange kein Ort mehr vorbeigekommen, in dem ich ein Hotel oder ähnliches vermute. Als ich als Lehrling in Gera aus dem Internat geflogen bin und keine Bleibe hatte, bin ich manchmal so lange durch die Kneipen gezogen bis mich jemand mitgenommen hat… Ich überlege, ob so etwas auch in japanischen Dörfern funktionieren könnte. Sind das eigentlich Dörfer? oder Urbane ländliche Kleinstädte? mit Kneipen, durch die man ziehen kann?

Bahnhof Murakami
Bahnhof Murakami

Der nächste Ort heisst Murakami. Ich liebe Murakami, den Schriftsteller und steige aus. Ein dunkler Ort. Es gibt einen 7/Eleven. Ich schlendere durch den Bahnhof und überlege, was zu tun ist. Es kommt ein junger JR Beamter auf mich zu und fragt, wo ich hinwill. Ich zücke meine Landkarte und nenne die grösste Stadt in der Umgebung, von der ich glaube, das es dort ein Hotel gibt. Er schreibt die Zugverbindungen auf. Es ist ein Expresszug dabei. Die Zeit zum Umsteigen beträgt in diesem Fall drei Minuten. Kein Problem bei der JR.

Warteraum in Murakami
Warteraum in Murakami

Zwischen durch verschwindet er kurz und holt eine Art Funkmikrophon. Er muss den nächsten Zug ankündigen und durchsagen machen. Er erledigt das nun direkt neben mir. Ich entschuldige mich vielmals, das ich ihn bei seiner Arbeit behindere, was ihn sehr freut und er natürlich verneint. Ob ich noch Reservierungen für die Züge benötige? Es ist nach 20:00 Uhr. Es sind kaum Menschen zusehen. Brauch ich die denn? frag ich. Er glaubt nicht. Ich auch nicht. Dann warte ich auf dem leeren Bahnsteig. Bald kommt die Durchsage mit englischem Zusatz, das sich die „Non Reserve Waggons“ am Ende des Zuges befinden.

Akita im Nebel
Akita im Nebel