Gottesdienst
Morgens um zehn sitze ich in einem katholischen Gottesdienst. Der schwarze Priester an der Kanzel spricht langsam und lässt fast jedes Wort vollständig im Kirchenschiff verhallen. Durch die geöffneten Fenster fällt warmes Sonnenlicht und man hört die Vögel draussen in den Bäumen. Ab und zu rattert eine Strassenbahn vorbei und überdeckt die Predigt fast vollständig. Wenn der schwarze Priester eine Pause macht wird es ganz still. Nur das leise Knacken der voll besetzten Holzbänke, ab und zu leises Scharren und die Vögel sind zu hören.
Weil ich kein französisch verstehe, achte ich nur noch auf die Hallfahnen der Worte. Mein kleines Tonaufnahme gerät liegt unauffällig in meinem Schoss und nimmt alles auf. Ich denke darüber nach, ob man aus all diesen kleinen Hallfahnen, eine Musik komponieren könnte.
Die letzte Nacht hab ich in einer halbverlassen Hotelanlage kurz hinter Karthago am Strand verbracht. Dort fand die Abschlussparty eines Kunst Festivals statt. In einem riesigen Zelt, das auf einer Seite zum Meer hin offen war, legten DJ’s Techno auf. Auf einer kleinen Bühne zwischen den Hotelanlagen erklang überlaute elektronische Experimentalmusik. Etwas weiter weg, neben der Hotelanlage, eine Lounge, direkt am Strand. Überall gut aussehende, sich amüsierende junge Leute.
Die Wiege des arabischen Frühlings ist sexy. Wer hätte das gedacht. Ich würde diese Art des Amüsements nicht unbedingt mit den Tunesiern in Verbindung bringen, eher mit seinen nicht mehr vorhandenen Touristen.
Ich schlenderte zwischen den Bühnen hin und her. Auf der Suche nach dem Sound. Die anfangs noch weichen Beats, wurden im Laufe des Abends stetig härter. Ich trank erst Unmengen von sehr kleinen Flaschen mit Bier und später kleine, teure, schlechte Wodka Mixgetränke. Ich musste oft aufs Klo. Zu fortgeschrittener Stunde traute ich mich kaum noch hin. Ich fürchtete mich vor den drogengeschüttelten Jugendlichen.
Gegen zwei dann: ein arabischer Drum’n’Bass Akt. Klarinette, Synthesizer und Loops, hitzig, treibend, verzerrt, eher Punk als Tanzmusik. Hölle Laut. Großartig. Dann Wechsel zum DJ Zelt. Eine junge Britin steht mit wenig analog Equipment auf der Bühne und kocht die Massen. Nach dem Akt passe ich sie hinter der Bühne ab und bedanke mich. Ihr nächster Gig ist in der Panorama Bar in Berlin. Gegen 3 Uhr fahr ich zufrieden mit dem Taxi Richtung La Fayette ins Hotel.
Nach einem kurzen unruhigen Schlaf bin ich morgens durch die heissen, menschenleeren Strassen von Tunis gelaufen. An einer Straßenbahnhaltestelle hörte ich aus einem weissen Gebäude einen Chor proben. Die Stimmen klingen wie weicher Samt in meinen Ohren. Ein paar Akkorde, Abbruch, leises sprechen und nochmal die selben Akkorde dann Abbruch, eine neue Akkordfolge. Ich suchte den Eingang zu dem Gebäude.
Es ist eine Kirche. Eine schlichte komplett weiss gestrichene, katholische Kirche. Nur an den aufgemalten Weihe-Kreuzen und einer, wie eine antike Göttin aussehenden Madonna, konnte ich die Konzession erkennen. Ich setzte mich in die vorletzte Bank. Vorne rechts im Seitenflügel probte der Chor. Der Schwarzer Kantor steht vor einem Keyboard mit Rhythmusmaschine und Bassautomatik. Der Chor besteht ausschließlich aus schwarzen Frauen und Männern. Rechts und links, in den Seitenschiffen, Lautsprecher auf Stativen.
Die Kirche ist noch fast leer. Vier alte Damen und ein Mann. Weiß konservativ. Ein junger Araber kommt herein und mehrere schwarze junge Frauen und Mädchen. Sie tragen sehr unterschiedliche Kleidung, sehr unterschiedlichen Frisuren. Bei mindestens zweien von ihnen muss der Lockenstab gebrannt haben. Ausgekämmte Haare, bunte Kleider, Dreadlocks, Anzüge, Jeans und wilde Locken. Dann drei dunkelhäutige Herren und zwei Pärchen. Schwarz, konservativ gekleidet. Die Kirche füllt sich langsam.
Vier schwarze junge Männer setzten sich neben mich in die vorletzte Bank. Eigentlich wollte ich langsam gehen. Ich dachte, wenn ich jetzt aufstehe und rausgehe, halten die mich für einen Rassisten, der nicht mit ihnen auf einer Bank sitzen will. Also bleibe ich. Die Kirche ist langsam voll.
Der Chor probt immer noch. Eine schwarze Lady in rosa Pomps stöckelt in die Kirche und findet nur noch Platz auf einem Plastikstuhl im Seitenschiff. In den Seitenschiffen gibt es keine Bänke, nur Plastikstühle.
Die Gemeinde besteht jetzt aus einem jungen Araber, einem älteren Araber mit seiner sehr hübschen Frau, vier weissen Männern, inklusive mir und einem der Priester, fünf alten weissen Frauen, acht Kindern und ca. hundert farbigen Tunesiern, alle noch nicht so alt.
Der Keyboarder/Chorleiter startet jetzt den Drumcomputer seiner Elektro Orgel und spielt einen Rhodes ähnlichen Sound. Der Chor setzt mit einem Halleluja ein. Gottseidank kein Gospel Gesang. Eher Sakral Pop. Auf jeden Fall sehr weich. Balsam.
Der Chor bricht nicht mehr ab, der Gottesdienst hat begonnen. Jetzt erscheint ein farbiger Priester und der Cantor blendet den Rythmus aus, lässt aber paar Akkorde stehen. Nach der Begrüssung blendet er die Beats wieder hoch und mischt noch ein paar Synthiestrings und Orgelsounds unter sein Rhodes. Der Chor setzt wieder mit ein.
Die Liturgie beginnt. Wir stehen alle Auf. Und setzten uns. Gottes Segen, wir stehen auf, und setzen uns. Nun die Predigt mit den langsamen ruhigen Worten, und den Pausen in denen das Sonnenlicht durch die Fenster scheint und die Vögel singen und diese Stille entsteht. Stille zwischen so vielen Menschen.
Die Musik setzt wieder ein. Eine Frau spricht das Für Bitte Gebet. Zwischen den Fürbitten schwillt die Musik an und der Chor singt. Immer wieder die selbe Phrase. Der Mann neben mir flüstert sein eigenes Bittgebet. Ohne ein Wort zu verstehen bin ich ergriffen.
Beim Vaterunser knien die meisten auf den an den Holzbänken vorgesehen Borten. Die Dame mit den Rosa Pumps kniet auf dem Steinboden. Im Seitenschiff mit den Plaste Stühlen gibt es nichts worauf man knien könnte. Danach reichen sich alle die Hand. Auch die schwarzen Jungs um mich herum schütteln mir die Hand.
Ich denke, während des Abendmals kann ich die Kirche unauffällig verlassen. Nun verlassen aber alle in Richtung Seitenschiff ihren Platz, um durch das Mittelschiff in Richtung Altar zu gehen, der Weg auf dem ich unauffällig Richtung Ausgang verschwinden wollte. Ich bleibe sitzen.
Jetzt wir die Kollekte eingesammelt. Meine letzten Dinare hab ich letzte Nacht ausgegeben. Also ertrag ich den etwas vorwurfsvollen Blick der schwarzen Lady mit dem Korb. Kyrie Eleison. Der weisse Priester spricht den Segen, ein letzter Choral mit Drumcomputer und zurück auf die heissen leeren Strassen von Tunis.